2.3. Die Deutschlandpolitik der sozial-liberalen Koalition 1969 - 1982
2.3.1. Neue Ostpolitik
2.3.2. Moskauer Vertrag
2.3.3. Warschauer Vertrag
2.3.4. Oder-Neiße-Linie
2.3.5. Streit um Ostverträge
2.3.6. Das Viermächte - Abkommen über Berlin
2.3.7. Beziehung der Bundesrepublik zu DDR
Neue Ostpolitik
1969 nahmen Bundeskanzler Brandt (SPD) und Außenminister Scheel (FDP) ihre Arbeit unter dem Motto Kontinuität und Erneuerung auf. Gemeint war, daß die DDR völkerrechtlich nicht anerkannt wurde, aber ein weiters Auseinanderleben der deutschen Nationen verhindert werden sollte und man würde versuchen, über ein Nebeneinander zu einem Miteinander zu kommen. Mit diesem neuen Konzept gewann die Bundesrepublik international an Bewegungsfreiheit und konnte den Ausgleich mit dem Westen den Ausgleich mit dem Osten folgen lassen.
Moskauer Vertrag
Am 30. Januar 1970 traf sich Egon Bahr zum erstenmal mit dem sowjetischen Außenminister Gromyko in Moskau. Gromyko stellte die üblichen Forderungen:
- Anerkennung des Status quo in Europa
- Anerkennung der Zweistaatlichkeit Deutschlands
und der Oder-Neiße-Grenze
- Eine Absage an jede Form der Wiedervereinigungspolitik
und Unterbindung aller Aktivitäten in diese Richtung.
Bahr wehrte sich und sagte, daß die Westmächte und das Grundgesetz das nicht zulassen würden, man müsse Formulierungen finden die beide Seiten zufriedenstellen. Man einigte sich später darauf, daß die BRD den Status quo in Europa de facto anerkannte und die Grenzen in Europa unverletzlich seien, d. h. friedliche Veränderungen waren noch möglich. Die Opposition um Rainer Barzel (CDU) war absolut gegen diesen Vertrag, obwohl die Forderungen der Opposition erfüllt waren: ein Brief zur deutschen Einheit. Er sei unvollständig, unausgewogen in Leistungen und Gegenleistungen und im Inhalt mißdeutbar. In diesem Brief stand, daß die Bundesregierung am Ziel der Einheit Deutschlands weiterhin festhielt. Durch die Annahme dieses Briefes betrachtete die Sowjetunion den Inhalt nicht als vertragswidrig. Die DDR war mit dem Moskauer Vertrag völkerrechtlich immer noch nicht anerkannt, aber die Bundesregierung hatte indirekt zugesichert, mit der DDR einen völkerrechtlichen Vertrag zu schließen. Der Vertrag wurde von gegenseitigem Gewaltverzicht zusammengehalten. Zwei- und Mehrseitige Verträge wurden nicht angerührt, also weder der Deutschlandvertrag mit dem Friedensvertragsvorbehalt der Westmächte noch die Rechte Sowjetunion in bezug auf "Deutschland als Ganzes". So blieb das "Dach der Siegermächte" erhalten. Im gleichen Jahr, 1970, schloß die BRD einen Vertrag mit Polen im Rahmen des Moskauer Vertrages, 1972 den Grundlagenvertrag mit der DDR und 1973 einen Vertrag mir der Tschechoslowakei ab.
Warschauer Vertrag
Im Februar 1970 hatten auch deutsch-polnische Verhandlungen begonnen, die vorübergehend unterbrochen wurden, um den Vorrang des Abschlusses des Vier-Mächte-Abkommen zu demonstrieren. Am 7.12.1970 unterzeichneten dann Brandt und Außenminister Scheel den "Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über die Grundlage der Normalisierung ihrer gegenseitigen Beziehungen.
Die Partner sicherten sich im Warschauer Vertrag die Unverletzlichkeit ihrer Territorien zu und erklärten "jetzt und in Zukunft" im Fall von Differenzen auf die Drohung mit und die Anwendung von Gewalt zu verzichten. Außerdem bekundeten sie ihre Absicht zur "vollen Normalisierung und umfassender Entwicklung ihrer gegenseitigen Beziehungen". Der Warschauer Vertrag war, wie der Moskauer Vertrag auch, ein Gewaltsverzichtsabkommen. Er deckt sich bezüglich seines Inhaltes und seiner wesentlichen Formulierung mit diesem und unterscheidet sich nur geringfügig durch spezielle deutsch-polnische Aspekte. Im Wesentlichen war der Vertrag ein Grenzvertrag über die Oder-Neiße-Grenze, die von der Bundesregierung bis zu diesem Zeitpunkt nicht anerkannt wurde. Der Verlauf der Grenze wurde nun als "unverletzlich" angesehen.
Der Vertrag besiegelte den Verlust von 114000 km2 deutschen Staatsgebietes. Das entspricht ca. 25% des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1937.
Oder-Neiße-Linie
Westgrenze der laut Potsdamer Abkommen vom 2.08.1945 Polen zur Verwaltung übergebenen deutschen Gebiete.
Von der DDR 1950 als deutsche Ostgrenze anerkannt. (Görlitzer Vertrag)
Seit 1970 auch von der BRD als Westgrenze Polens anerkannt. (Warschauer Vertrag)
Streit um die Ostverträge
25 Jahre gab es Diskussionen, die das Grenzproblem betrafen. So kam es zu einer dramatischen Zuspitzung der Lage nach der ersten Lesung der Ostverträge im Februar 1972.
Vier FDP-Abgeordnete und ein SPD-Abgeordneter verließen ihre Fraktion und traten zur CDU über.
Die Opposition versuchte mit dem ersten Konstruktiven Mißtrauensvotum in der Geschichte der Bundesrepublik die Regierung zu stürzen. Am 27. April 1972 stimmte der Bundestag darüber ab, ob Rainer Barzel, der damalige Oppositionsführer, Willy Brandt als Kanzler ablösen sollte. Doch scheiterte das Mißtrauensvotum wegen zwei fehlenden Stimmen für Barzel. Statt der benötigten, und scheinbar völlig sicheren 249 Stimmen erhielt er nur 247.
Das Vier-Mächte-Abkommen über Berlin
Vertrag zwischen den USA, GB, F und UdSSR vom 3.09.1971. Das Berlinabkommen trat am 3.06.1972 in Kraft und zum 3.10.1990 außer Kraft. Es bestätigte die Verantwortlichkeiten und Rechte der vier Mächte; u.a. verpflichtete sich im Berlinabkommen die Sowjetunion, den zivilen Transitverkehr zwischen Berlin (West) und der BRD zu erleichtern und nicht zu behindern.
DIE BEZIEHUNG DER BUNDESREPUBLIK ZUR DDR 1969-1973
Am 28.10.1969 bot der damalige Bundeskanzler Willi Brandt der DDR Verhandlungen über einen Gewaltverzicht an. Diese jedoch übersandten einen Vertragsentwurf in dem sie die völkerrechtliche Anerkennung der DDR, einen Botschafteraustausch und die Behandlung Westberlins als eine selbständige politische Einheit forderten. Es kam dann am 19. März 1970 in Erfurt und am 21. Dezember 1970 in Kassel zu einem Treffen zwischen Brandt und Stoph, dem damaligen Ministerpräsidenten der DDR. Das Treffen blieb allerdings ohne Ergebnis, denn Stoph forderte immer wieder die völkerrechtliche Anerkennung der DDR. Mit der Begründung das es die Pflicht beider Staaten sei, die Einheit der Nation zu wahren und sich nicht gegenseitig als Ausland zu betrachten, lehnte Brandt diese Forderung ab. Sehr zur Freude der Bevölkerung, die große Hoffnung in eine Wiedervereinigung setzte.
Am 21. Dezember 1972 kam es nach über 70 Begegnungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR dann endlich zum Abschluß eines Grundlagenvertrages über die Beziehung der beiden Staaten zueinander. Es wurde der seit 19 Jahren unterbrochene Telefonverkehr in Berlin wieder aufgenommen und Erleichterungen im Besucherverkehr durchgesetzt. So durften jetzt statt nur Verwandte auch Bekannte der DDR Bürger einreisen um ihre Freunde in der DDR zu besuchen. Der umgekehrte Fall war allerdings verboten.
Dieser Grundlagenvertrag sollte zwar im Sinne der Bundesrepublik keine Teilung beider Staaten sein, kam dieser aber ziemlich Nahe, eine völkerrechtliche Anerkennung durch die Bundesrepublik wie sie die DDR so vehement gefordert hatte, erfolgte aber nicht.
Theoretisch hatte die Bundesrepublik ihre Position zwar gehalten, doch praktisch brachte dieser Vertrag der DDR den internationalen Durchbruch bei der Anerkennung als vollkommen eigenständiger Staat, denn der Grundsatz der Bundesrepublik, die diplomatischen Beziehungen zu allen Staaten, die die DDR als souveränen Staat anerkennen, abzubrechen, fiel weg. Somit nahm die DDR 1972 bei den Olympischen Spielen in München schon als eigene Nation teil und wurde 1973 sogar gemeinsam mit der Bundesrepublik in die UNO aufgenommen. Der Umgang beider Staaten miteinander wurde zusehends besser, zeitweise entstand sogar das Bild einer Normalität, zu der die Schüsse an der Mauer allerdings nicht passten.
Für das Ausland war der Fall somit klar, es gab zwei deutsche Staaten. Nicht so für die Bundesrepublik, mit dem Grundsatz, das niemand die Wiedervereinigung als politisches Ziel aufgeben durfte und die baldige Wiedervereinigung oberste Priorität hatte, wurde weiterhin auf das "vereinigte Deutschland" hingearbeitet.