Münsterlandzeitung, 98-08-20
Kreis - Vom Strukturwandel ist landauf, landab die Rede. Er verändert die traditionellen Berufe erheblich und schafft sowohl in der Wirtschaft als auch in der Verwaltung völlig neue Berufsfelder. Die Münsterland-Zeitung hat sich mit Wolfgang Reinert, Schulleiter der Kaufmännischen Schulen Ahaus und leitender Koordinator der Planungsgruppe Berufsorientierungsmesse, über dieses Thema und die Auswirkungen auf die Ausbildung an der Berufsschule unterhalten.
Frage: Experten sagen, wir stehen vor einer neuen industriellen Revolution. Was ist die Ursache für die Veränderungen, die sich zur Zeit auch in den traditionellen Berufsfeldern abspielen?
Reinert: Ursache für den gegenwärtigen Strukturwandel ist zweifellos der Einfluß der modernen Informations- und Kommunikationstechnologien.
Frage: Welche Berufe sind davon in erster Linie betroffen?
Reinert: Stark verändert haben sich zum Beispiel die Büroberufe. Gerade neu geordnet worden sind die Ausbildungsrichtlinien der Groß- und Außenhandelskaufleute, der Industrie- und Bankkaufleute sowie der Steuerfachangestellten. Aber auch die sogenannten Helferinnenberufe im Gesundheitsbereich wie die Arzt- und Zahnarzthelferinnen sowie die Pharmazeutisch-Kaufmännischen Angestellten sind dem Wandel unterworfen. Neue Berufe wie zum Beispiel die Kaufleute in den Bereichen der Informations- und Kommunikationstechnologien sowie Automobilverkauf folgen Ausbildungsmustern, die noch weitgehend unbekannt sind.
Frage: Was heißt das konkret?
Reinert: Kommunikationsfähigkeit und Handlungskompetenz rücken entscheidend in den Vordergrund. Wichtig sind heute die Fähigkeiten, Lösungsstrategien zu entwerfen, Ergebnisse anschaulich zu präsentieren und sich dabei der neuen Medien zu bedienen. Im Speditionsbereich etwa ist der Einsatz von modernen EDV-Systemen gang und gäbe. Mit deren Hilfe werden schon seit geraumer Zeit im internationalen Verbund die kürzesten Transportwege, die günstigsten Transportmittel und -anbieter bestimmt.
Frage: Das bedeutet, daß die Auszubildenden sich, auch was ihre Erwartungen angeht, umstellen müssen. Können Sie einige Beispiele geben, wie sich diese Veränderungen in der Ausbildung auswirken?
Reinert: Erst allmählich wird in der Öffentlichkeit wahrgenommen, daß Fremdsprachen Eingang in die berufsschulische Ausbildung gefunden haben. So ist etwa Englisch in der Großhandelsausbildung mittlerweile Pflichtfach. Ab dem kommenden Schuljahr bieten die Kaufmännischen Schulen Ahaus das Fach Niederländisch für zukünftige Bankkaufleute sowie Einzelhandelskaufleute an und folgen damit Wünschen und Erwartungen der Betriebe.
Frage: Das klingt auf der einen Seite vielversprechend, auf der anderen Seite aber auch verwirrend. Die jungen Menschen müssen damit eine Vielzahl von Vorstellungen über die Berufsausbildung, ja über die heutigen Berufe, über Bord werfen. Wer oder was hilft einem jungen Menschen, hier noch den Durchblick zu wahren?
Reinert: Genau an diesem Punkt setzt die Berufsorientierungsmesse an, die am 26. August auf dem Berufsschulgelände in Ahaus veranstaltet wird und, wie der Name sagt, der Orientierung der zukünftigen Azubis dient. 54 Aussteller werden 83 Berufe vorstellen. Fast 5000 Schülerinnen und Schüler werden erwartet. Wer kann anschaulicher und überzeugender die Tätigkeitsfelder, die Lerninhalte und das soziale Umfeld darstellen als ausbildende Wirtschaft und Berufsschule, die dualen Partner in diesem System?
Frage: Ist die Messe nur für die Schülerinnen und Schüler oder auch für sonstige Interessenten geöffnet?
Reinert: Alle sind eingeladen, sich über das zukunftsträchtige Ausbildungsspektrum der Betriebe unserer Region zu informieren. Ich empfehle darüber hinaus besonders den Eltern der Jugendlichen, sich auf der Messe einen Eindruck über die Wunschberufe ihrer Kinder zu verschaffen. Die herkömmlichen Vorstellungen über viele traditionelle Berufe liegen häufig falsch. Denn alle Berufe haben sich unter dem Druck des Strukturwandels weiterentwickelt.
Frage: Gibt es einen Beruf, den sie jungen Menschen uneingeschränkt empfehlen können?
Reinert: Eine Berufswahl hängt natürlich immer von den Neigungen und Begabungen ab. Generell haben aber insbesondere die Steuerfachangestellten im Rahmen der europäischen Einigung sehr gute Berufschancen. Und das um so mehr, je stärker die verschiedenen nationalen Wirtschafts- und damit auch Steuersysteme harmonisiert werden. Auch der Einzelhandel hat in der Zukunft gute Perspektiven.
Frage: Gibt es im kaufmännischen Bereich berufliche Auslaufmodelle?
Reinert: Wir werden uns in den kommenden Jahren von keinen Berufen verabschieden müssen. Allerdings werden manche Berufe, was die Zahl der dort Tätigen angeht, schlanker besetzt sein.